„Die Hamburger:innen haben mich für verrückt erklärt!"

In Hamburg ist Frank Brüdigam längst als leidenschaftlicher Koch und Gastgeber aus dem Brüdigams bekannt. Jetzt hat er mit Brüdigams Wildwechsel in dem kleinen Örtchen Kaaks bei Itzehoe ein zweites Restaurant aufgemacht. Im Interview haben wir mit ihm über gutes Essen und das Leben auf dem Dorf gesprochen.

Interview: Nikolai Antoniadis

Foto: Stefan Malzkorn

Wieso Itzehoe? Hast du Wurzeln im Norden?

Ja, aber an der Ostsee. Ich bin in Neustadt groß geworden. Nach Kaaks bin ich eher zufällig gekommen. Ich saß vor meinen Laden in Hamburg und habe mit einer Nachbarin gesprochen. Die hat mir von einem alten Landgasthof bei Itzehoe erzählt. Ich habe eigentlich nichts gesucht, aber ich habe mir gesagt: Ich schau’s mir mal an. Als ich dann hingefahren bin, wusste das halbe Dorf Bescheid: „Da ist ein Koch aus Hamburg und guckt sich den Laden an“. Nach fünf Minuten saß ich mit dem Bürgermeister zusammen, der mich dann herumgeführt hat. Da habe ich gedacht: Das passt!

Und was hast du da vorgefunden?

Einen alten Landgasthof aus den 50er-Jahren. Die frühere Betreiberin, Mariechen, hat den vor langer, langer Zeit mal umgebaut; zum Beispiel war das, was heute der Saal ist, früher der Schweinestall. Als ich kam, stand er seit fünf Jahren leer und war davor viele Jahre etwas stiefmütterlich behandelt worden. Allerdings war er davor wohl auch richtig gut gelaufen. Mariechen ist heute 88 und wohnt immer noch hinter dem Gasthof. Sie freut sich, dass wieder Leben drin ist und der Laden läuft.

Du hast wahrscheinlich auch nicht viel Konkurrenz.

Tatsächlich gibt es hier nicht viele Restaurants, die moderne Küche bieten. Viele meiner Kolleg*innen kochen klassisch traditionell. Wir sind die einzigen, die neben einem anderen Restaurant – in einem Dorf etwa 20 Autominuten von hier – in einem Restaurantführer erwähnt werden. In Hamburg haben mich alle trotzdem für verrückt erklärt.

Nachvollziehbar oder nicht?

Ich will ehrlich sein: In Kaaks bin ich all-in gegangen. Das hätte auch richtig nach hinten losgehen können. Aber wir sind inzwischen hier angekommen. Das Dorf nutzt den Gasthof fast wie ein Gemeindehaus. Für den Feuerwehrball, als Wahllokal. Die Jagdprüfungen finden wieder im Wildwechsel statt und danach essen die Jäger bei uns. Und einmal in der Woche treffen sich die alten Mädels aus dem Dorf, um Gymnastik zu machen. Es gibt auch eine kleine Scheune, für kleinere Veranstaltungen. Scheune, aber Brüdigam-Stil! Ehrlich gesagt, habe ich oft gar keine Lust mehr, wieder nach Hamburg zu fahren – wenn es das Brüdigams nicht gäbe. Es ist unglaublich, was hier los ist! Ich habe viele Veranstaltungen. Mittelständische Unternehmen aus der Region, Familienfeiern, die ersten Hochzeiten, aber auch eine japanische Firma, die mal mit zwölf Leuten kommt, ein anderes Mal mit 120. Das wird total unterschätzt.

Wie sehen das die Leute aus dem Dorf?

Die sind schon immer ganz neugierig, was für Autos vorfahren. Letztens kam ein Stammgast mit seinem Ferrari vorgefahren; der hat aber hinter dem Haus geparkt. Mir ist es aber egal, woher meine Gäste kommen – bei mir ist jeder willkommen. Es ist ja auch so: Ich lege Wert auf Erzeugnisse aus der Region. Ich fühle mich wohl hier, wir sind im Dorf angekommen. Viele hier leben von der Landwirtschaft. Es gibt zum Beispiel einen Viehzüchter, der feiert jedes Familienfest im Wildwechsel. Es wäre total komisch, wenn ich dann mein Rind in Süddeutschland einkaufe. Viele der Produzent*innen sind meine Gäste, man kann sich zusammensetzen und kommt leicht ins Gespräch. Gerade letztens habe ich mit einem gesprochen, einem Anhänger der Slowfood-Bewegung, der in der Nähe eine sehr nachhaltige Fischzucht betreibt. Die werde ich mir sicher mal ansehen. Das macht mir auch Spaß.

Was ist die kulinarische Grundidee im «Wildwechsel»?

Eine gehobene Landhausküche. Ich arbeite vorwiegend mit saisonalen Produkten aus der Region. Ich habe zum Beispiel gerade ein Wagyu-Rind gekauft. Das wird in acht Wochen geschlachtet und kommt direkt aus dem Dorf. Gut, für Veranstaltungen kaufe ich auch mal Iberico-Schwein, weil Gäste sich das wünschen. Aber wir haben Gänse aus der Region, Lamm, Wild, das Rind. Ich versuche auch, ganze Tiere zu verarbeiten, also aus allem etwas zu machen, und natürlich, traditionellen Gerichten eine eigene Note zu geben; zum Beispiel habe ich für die Aktion „Holsteiner Teller“ Königsberger Klopse vom Wagyu-Rind vom Hof Fels aus Kaaks gemacht, mit frittierten Kapern, Ringelbete und Kartoffelstampf, ein bisschen anders eben.

Der Schwerpunkt der Karte liegt auf Fleisch oder Fisch. Ich fand das auf den ersten Blick angenehm unzeitgemäß. Liegt das daran, dass du auf dem Land bist?

Nein, ich koche auch vegetarisch und vegan. Wenn du auf dem Land „vegetarisch“ bestellst, bekommst du normalerweise einfach die Beilagen. Meine Gäste sind ausgesprochen glücklich darüber, dass sie hier anständig vegetarisch essen können. Das gibt es sonst auf dem Land nicht.

Das Wildwechsel ist nicht nur Gasthof, sondern auch Hotel.

Stimmt, auf die Zimmer bin ich richtig stolz. Die Schränke haben wir extra von einem Tischler bauen lassen. Es gibt ein Zimmer, das wir immer zum Spaß „Paul-Smith-Zimmer“ genannt haben, nach dem englischen Designer. Vor einem halben Jahr ungefähr war plötzlich eine Postkarte aus London in meinem Briefkasten. Da hat sich Smith bedankt, dass wir ein Zimmer nach ihm benannt haben. Es gibt wenig Menschen, die ich cool finde, aber Paul Smith gehört dazu! Leider passe ich nicht in seine Anzüge.

In einem Zimmer hängen Bilder von Lady Di. Soll das daran erinnern, dass du mal für sie gekocht hast?

Naja, das wäre etwas übertrieben. Ich habe früher im Kensington Park Hotel in London gearbeitet, unter anderem bei einer Charity-Veranstaltung von Diana. Da war ich einer von 40 Köchen! Nicht ihr Privatkoch.

Wie geht’s weiter? Kannst du dir vorstellen, aufs Land zu ziehen?

Tatsächlich denken meine Lebensgefährtin und ich gerade darüber nach, ob wir uns in Hamburg verkleinern. Im Moment bin ich sowieso viel hier, weil ich in der Woche schon vorbereite, Saucen und Brühen ansetze. Wir sind nur zu dritt. Eine Sous-Chefin, eine Auszubildende und ich. Gestern ist der Abwäscher ausgefallen. Da habe ich mittags nebenbei auch den Abwasch gemacht.

Man muss seinen Job lieben.

Ich liebe ihn.

bruedigams-wildwechsel.de