„Alle meine Stücke entstehen intuitiv”

Eigentlich wollte Sinikka Harms Ethnologin werden, doch in ihrem Studium verliebte sie sich in Ölmalerei und Keramik. Inzwischen lebt und töpfert sie in einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide. Im Interview erzählt sie von fliegenden Tellern, Nachtschichten am Ofen und einer grausamen Kunstlehrerin.

Interview: Beatrix Gerstberger

Fotos: Stephanie Syfus

Töpferin oder Keramikerin – wie nennst du dich eigentlich?

Keramikerin. Traditionell stellen Töpfer*innen Töpfe aus Ton her und brennen sie. Keramiker*innen veredeln die Stücke noch, indem sie Farben und Glasuren benutzen.

Wie bist Du denn überhaupt zum Keramikhandwerk gekommen?

Begonnen hat es in meinem Erasmus-Jahr in Sevilla. Eigentlich war ich zum Studieren dort, aber mich interessierte das Leben drum herum viel mehr als die Uni und ich wollte etwas Neues probieren. Also habe ich mir in meinem Sechs-Quadratmeter-Zimmerchen eine Leinwand zwischen Bett und Schreibtisch gestellt und mit Ölmalerei begonnen. Zur gleichen Zeit habe ich meinen Freund kennengelernt, der holzgebrannte Keramik in seiner Wohnung stehen hatte. Wunderschön, natürlich erdig und kaum glasiert, ähnlich dem japanischen Stil. Einige Jahre später, zurück in Hamburg, saß ich an meiner Magisterarbeit über Portugiesen in den USA – ich studierte Ethnologie – und wollte nicht nur immer lesen, schreiben, sitzen. Ich habe dann einen Drehkurs besucht, bin beim Töpfern hängengeblieben und habe einen Platz in der Frauenhandwerkstatt gefunden. Anfangs sind mir die Sachen noch um die Ohren oder durch den ganzen Raum geflogen.

Foto: Pelleybuys

Foto: Pelleybuys

Und dann…

Gemeinsam mit den anderen Frauen aus der Werkstatt bin ich auf Märkte gefahren und habe meine ersten Stücke verkauft. Gleichzeitig habe ich weiterhin mit Menschen mit Behinderung gearbeitet und Kreativkurse für Kinder gegeben. Das alles brachte aber nicht genug Geld, und zum Töpfern kam ich auch immer weniger. Also kündigte ich alles andere, suchte mir ein Atelier und legte los. Keramik ist einfach mein Herzensding, ich konnte gar nicht anders.

Das Besondere beim Töpfern ist für viele die Kombination aus Bewegen, Fühlen und Formen. Wie ist das bei dir?

Ich habe es von Anfang an gemocht, mich beim Drehen der Scheibe ganz auf den Ton einzulassen. Ich muss achtsam arbeiten, nicht zu schnell, denn das könnte meine Tasse oder meinen Teller zerstören. Ich arbeite auch kaum mit Schablonen, alle meine Stücke sind individuell und entstehen intuitiv während des Formens. Jedes ist ein Einzelstück, passt aber zu den anderen.

Wo findest Du die Inspirationen für deine Stücke?

Ich spiele gern mit neuen Formen, gehe durch die Natur, und wenn ich einen schönen Stein sehe, probiere ich ihn vielleicht als Form für einen Teller aus oder als eine Schale für einen experimentellen Koch. Überhaupt inspiriert mich die Natur, deshalb benutze ich auch diese erdigen Farben oder sanftes Blau und Türkis als Glasur.

Foto: Nina Struve

Foto: Nina Struve

Vieles in deinen Regalen sieht allerdings komplett unbehandelt aus.

Ich mag es möglichst unaufgeregt und schnörkellos. Bei unglasierten Stücken spürt man ganz wunderbar den Ton, das Raue und Ungeschliffene. Wenn man aus so einer Tasse trinkt, ist es, als ob man einen warmen Stein in der Hand hält. Wichtig ist dabei nur, hoch zu brennen und die Stücke vor Benutzung einmal einzuölen. Dann sind sie auch wasser- und farbfest.

Hier in deiner Werkstatt steht ein Elektrobrennofen, hast du auch andere Arten des Brennens ausprobiert?

Der Ursprung meiner Leidenschaft für dieses Handwerk ist die Holzbrandkeramik. Da wird die Keramik in einem Ofen gebrannt, den man mehrere Tage mit Holz befeuert. So ein Ofen qualmt, es schießt Feuer heraus und beim Brennen entstehen Effekte, die in anderen Öfen nicht möglich sind. In einem Kurs an der Müritz haben wir zwei Tage und zwei Nächte mit so einem Ofen gebrannt. Wir hatten Vier-Stunden-Schichten, ich übernahm von zwei bis sechs Uhr morgens, habe alle zehn Minuten ein Stück Holz in den Ofen geschoben, und um fünf Uhr morgens fingen die Vögel an zu singen. Es war herrlich! Am liebsten hätte ich selbst einen Holzbrandofen, aber das ist hier auf diesem Grundstück leider etwas kompliziert.

Ihr seid vor kurzem von Hamburg nach Brockhöfe in die Lüneburger Heide gezogen. Wie ist das Leben auf dem Land?

Es wurde uns zu voll und zu laut in der Stadt. Deshalb suchten wir schon länger nach so einem Ort wie diesem. Als wir ankamen, haben wir einfach alles mitgemacht. Sogar den Laternenumzug, obwohl wir keine Kinder haben. Ich setze mich auch an einen Tresen und fange einfach ein Gespräch an. Wir sind zwar die einzigen Künstler hier im Ort, mein Freund ist Musiker, aber wenn man offen ist, lernt man schnell interessante Leute und Orte kennen. Eine Freundin hat zum Beispiel die Familienkneipe übernommen, eine andere einen der ältesten Höfe Niedersachsens, wo sie Konzerte veranstaltet. Es gibt erstaunlich viele jüngere Leute mit guten Ideen hier. Und inzwischen sind wir angekommen!

 

Hättest du denn früher gedacht, dass du einmal von der Kunst lebst?

Nein, nicht wirklich. Daran mag auch meine Kunstlehrerin aus der Schulzeit mit schuld sein. Wir mussten im Unterricht einmal ein Schokoriegelpapier abmalen. Ich habe eine KitKat-Packung gemalt und die Lehrerin ist anschließend durch die gesamte Klasse gegangen, hat mein Bild hochgehalten und gesagt: „So sieht ein langweiliges Bild aus!“ Das hat mich lange geprägt. Und erst in Sevilla kam die Kunst wieder zu mir. Ich male inzwischen viel zu selten, aber mein Traum ist es, mir irgendwann einen Raum über der Werkstatt einzurichten. Nur für meine Leinwand, meine Ölfarben und mich. Dann sitze ich dort nach dem Töpfern an der Staffelei, mit einer Kerze, einem Glas Rotwein und male. Irgendwie kitschig, aber gut.

Sinikka Harms
Osterberg 2, 29565 Wriedel-Brockhöfe
T 05829 9881444
sinikkaharms.de

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